Apple ist nicht nur für iPhones, Macs und das App Store-Ökosystem bekannt. Der Konzern steht auch regelmäßig im Zentrum rechtlicher Auseinandersetzungen. In einem aktuellen Bericht des Wall Street Journal geht es diesmal nicht um ein einzelnes Produkt oder Geschäftsmodell, sondern um ein viel grundlegenderes Problem: Wie Apple und andere große Tech-Konzerne wie Amazon und Google durch ihre Anwälte bewusst an den Rändern der Legalität operieren – und manchmal auch darüber hinaus.
Laut dem WSJ ermutigen die Anwälte dieser Unternehmen ihre Mandanten nicht nur, Grauzonen auszunutzen. In einigen Fällen sollen sie sogar aktiv dazu raten, gesetzliche Grenzen zu überschreiten. Dabei geht es nicht nur um schlechte Beratung, sondern um eine gezielte Strategie, rechtliche Privilegien wie das Anwaltsgeheimnis zu missbrauchen. Die Folge ist ein wachsender Eindruck, dass für Konzerne wie Apple andere Regeln gelten – oder sie sich zumindest so verhalten, als wäre das der Fall.
Der Fall Epic Games gegen Apple: Ausgangspunkt für die Kritik
Ein konkretes Beispiel liefert der Prozess zwischen Apple und Epic Games. Epic hatte Apple wegen der strengen Kontrolle über den App Store verklagt. Obwohl Apple im Großen und Ganzen als Sieger aus dem Verfahren hervorging, verlor das Unternehmen in einem entscheidenden Punkt: Apple wurde dazu verpflichtet, alternative Zahlungsmethoden in Apps zuzulassen. Apple weigerte sich allerdings, diesen Teil des Urteils umzusetzen, zumindest nicht im Sinne des Richters. Der Konzern kündigte an, zwar andere Zahlungsmethoden zu erlauben, gleichzeitig aber weiterhin eine ähnliche Provision zu verlangen wie zuvor. Apple erklärte, dies geschehe nicht aus finanziellen Gründen. Die zuständige Richterin zweifelte jedoch offen an dieser Darstellung und forderte interne Dokumente an, um die Entscheidung nachvollziehen zu können.
Richter zweifeln an Apples Glaubwürdigkeit
Apple reichte diese Dokumente nicht fristgerecht ein und begründete das mit technischen Problemen. Ein zweiter Richter äußerte daraufhin ebenfalls den Verdacht, dass Apple nicht die Wahrheit sagt. Der ursprüngliche Richter ging noch weiter und warf einem hochrangigen Apple-Manager vor, unter Eid gelogen zu haben. Daraufhin wurde eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet.
Missbrauch von Anwaltsprivilegien
Besonders kritisch wird in dem WSJ-Bericht bewertet, wie Apple mit dem sogenannten Anwaltsprivileg umging. Dieses Privileg schützt vertrauliche Kommunikation zwischen Anwälten und ihren Mandanten. Interne Gespräche zwischen Apple-Mitarbeitern fallen jedoch nicht darunter. Trotzdem deklarierte Apple zunächst Tausende Dokumente als privilegiert und verweigerte deren Herausgabe. Erst nachdem das Gericht genauere Nachweise verlangte, gestand Apple ein, dass viele dieser Dokumente nicht unter das Privileg fielen.
Die Rolle der Anwälte
Das WSJ vermutet, dass diese Strategie direkt von Apples Anwälten kam. Sie hätten Apple dazu geraten, möglichst viele Dokumente zurückzuhalten – in der Hoffnung, dass das Gericht sie nicht im Detail prüft. Dieser Vorwurf richtet sich aber nicht nur an Apple. Auch Google und Amazon sollen in anderen Fällen ähnlich gehandelt haben. Laut dem Rechtsprofessor John Newman von der Universität Miami, einem ehemaligen FTC-Vizedirektor, sei es eigentlich die Aufgabe von Anwälten, ein klares „Nein“ auszusprechen, wenn etwas rechtlich fragwürdig ist. Doch genau das geschehe nicht. Stattdessen würden sie dazu beitragen, dass Unternehmen wie Apple gesetzliche Regeln unterlaufen.
Finanzielle Anreize als Grundproblem
Ein Kartellrechtsexperte, der im WSJ zitiert wird, sieht die Ursache in den finanziellen Interessen der Anwälte. Sie verdienen sehr viel Geld mit ihren Mandanten und hätten daher ein starkes Eigeninteresse daran, deren Wünsche umzusetzen – selbst wenn das bedeutet, sich auf rechtlich dünnes Eis zu begeben. Weil die Konsequenzen für solche Grenzüberschreitungen oft gering sind, sei das Risiko kalkulierbar. Auch die Juristin Megan Gray, die früher für die FTC und DuckDuckGo gearbeitet hat, spricht von einem „reichen Privileg“. Aus ihrer Sicht überschreiten manche Anwälte gezielt rechtliche Grenzen, weil sie sich durch ihre Position geschützt fühlen. Die Aussicht auf spürbare Strafen sei gering, besonders bei Konzernen mit enormen Ressourcen.
Zwischen Macht und Moral: Apple’s Gratwanderung
Die Kritik an Apples Verhalten im Epic-Verfahren und der Vorwurf des Missbrauchs juristischer Schutzmechanismen wirft Fragen auf. Es geht nicht nur darum, ob Apple einzelne Regeln verletzt hat. Es geht um die grundsätzliche Haltung des Unternehmens gegenüber Gerichten, Gesetzen und der Öffentlichkeit. Wenn Apple versucht, unangenehme Wahrheiten hinter dem Schutzmantel des Anwaltsgeheimnisses zu verstecken und damit durchkommt, sendet das ein deutliches Signal: Für große Tech-Konzerne gelten andere Maßstäbe. Und wenn Anwälte dabei nicht bremsen, sondern aktiv beschleunigen, wird das zum echten Problem. Die Lösung wäre einfach, wenn Apple tatsächlich schlecht beraten wurde: bessere Anwälte. Solche, die das Gesetz nicht als Hindernis sehen, sondern als Grundlage für nachhaltiges Handeln. Denn letztlich ist kein Unternehmen unantastbar – auch Apple nicht. (Bild: Shutterstock / SORASIT SRIKHAM-ON)
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